Mittwoch, 24. November 2010

Heaven Shall Burn & As I Lay Dying

Da ja mittlerweile jede drittklassige weißdergeiercore-Kapelle auf ihren Shows Eintrittspreise von an die 30€ verlangt, war der erste Gedanke bei der Bekanntgabe der Co-Headlinertour von AILD und HSB: „Knacken die demnächst auch die 40€-Grenze?“
Das trat glücklicherweise nicht ein (Kostenpunkt: 28€), jedoch war ein weiterer unschöner Trend zu beobachten: man bekommt weniger Spielzeit für mehr Eintritt. Super.
So leider auch an diesem Abend im Werk II zu Leipzig. Dazu aber später mehr, zuerst musste man die ein oder andere Support-Band über sich ergehen lassen.
Die deutschen Thrasher Dew-Scented durften hierzulande den Opener spielen, jedoch nicht für mich. Die fünf Herren aus dem Norden Deutschlands hatte ich bereits 07 als Support von Machine Head und As I Lay Dying in Hamburg „bewundern“ dürfen, das Interesse war dementsprechend gering und die Motivation schon kurz nach 8 rüber in die Halle zu gehen noch geringer.
Ein nicht unerheblicher Teil des Publikums schien dann wegen Suicide Silence da gewesen zu sein, zumindest war die Shirt-Dichte verdächtig hoch. Dass die Amis keine Verfechter filigranen Songwritings sind und lieber nach dem Motto „Stumpf ist Trumpf!“ agieren war mir bekannt. Das, was man letztlich aber zu hören bekam verdient ein einziges Wort: verzichtbar.
Letztlich war es aber wieder eine Demonstration dessen, warum fast das komplette Genre Deathcore so unglaublich langweilig ist: es scheint sich einfach nur ein stumpfer Breakdown nach dem anderen an einen Blastpart zu reihen und fertig ist der Song. Da nützen auch keine extrem tiefgestimmten Gitarren, brutales Shouting oder tolle bunte Shirts zum Mitnehmen: es fesselt einfach nicht. Was nützt mir extreme Brutalität, wenn gutes Songwriting einfach nicht existent ist? Nach 30min räumten die Herren glücklicherweise auch schon wieder das Feld und machten Platz für… As I Lay Dying
Ein knappes halbes Jahr nach der Veröffentlichung von The Powerless Rise begab sich das Quintett aus San Diego auf die erste „richtige“ Headliner-Tour zum neuen Album… wobei? Auf einer Co-Headliner-Tour nur mit einem 45min-Set? Das ist ärgerlich, ziemlich ärgerlich.
Ein AILD-Set kann zwar nie schlecht sein, aber die eine oder andere Überraschung wäre schon nett gewesen. Letztlich deckte sich das Set so ziemlich mit dem des letzten Europa-Abstechers im Sommer. Es hatte immerhin 3 neue Songs des aktuellen Albums ins Set geschafft, gerade Parallels und Anodyne Sea hatte ich mir erhofft und bekam sie auch.


Die Band war allerdings einen Tacken zu routiniert, das übertrug sich auch auf die Stimmung im Publikum. Der Pit ging zwar mächtig steil (das hat aber weniger mit der Musik denn mit dem Hang zur Selbstdarstellung vieler männlicher Zeitgenossen meist jüngeren Semesters zu tun), man applaudierte auch artig nach den Songs… aber der fünfte Gang wurde während des gesamten Gigs nicht erreicht. Schade, der bisher schwächste Auftritt meiner erklärten Lieblings-Band. Wobei das nicht wirklich schwach war, nur bei weitem nicht so gut wie die anderen 4 Konzerte.
Stimmungs-Headliner waren eindeutig Heaven Shall Burn. Bei ihrem knapp 55min-Set stieg das Stimmungs-Barometer am höchsten. Sicherlich auch dadurch bedingt, dass man in Leipzig quasi eine Heimat-Show spielte, Sänger Marcus stellte die Band auch mit: „Wir sind Heaven Shall Burn aus Ostdeutschland, hier in der Heimat darf man das ja endlich wieder sagen!“ vor.
Die lustigen Ansagen in seinem drolligen thüring‘schen Akzent zogen sich durch das ganze Set und lockerten die Stimmung merklich auf. Das die Band ja nicht gerade ausschließlich trendfreies Publikum zieht, scheint ihnen bewusst zu sein, denn als Voice Of The Voiceless angekündigt wurde, ließ er sich hinreißen, das Publikum etwas auf die Schippe zu nehmen: „Ich weiß, ihr habt Bock auf Circle Pits, Wall of Death und den ganzen Kram. Ich will jetzt aber mal endlich wieder einen schönen Schweine-Pogo sehen… aber ich befürchte dass wird den ein oder anderen hier überfordern.“ Welche Klientel sich da angesprochen fühlen sollte, sollte dabei klar sein. Die Uniformiertheit dieser möchtegern-Individualisten ist einfach erschreckend.
Das Set setzte sich logischerweise aus vielen Songs des aktuellen Albums Invictus zusammen, Zeit für viel Material der Alben bis Antigone blieb daher nicht.
Wenn man das Material nicht kannte, war eh egal was gespielt wurde, denn auch hier war der Sound wirklich nicht gut. Viel zu viel Bass und Schlagzeug, kaum hörbare Gitarren und ein ganz schöner Soundbrei. Bei AILD war dies aufgrund des etwas komplexeren Riffings nicht so schlimm, da man doch noch viel erahnen konnte. Beim HSB-typischen Geschrammel hingegen sah es wesentlich düsterer aus. Der Sound besserte sich nach ca. 20min, wurde allerdings unerklärlicherweise wieder schlechter. Schade für diejenigen, die nicht mit dem Material vertraut waren.
Fein war hingegen die Videoshow im Hintergrund, denn statt einem Backdrop hatte man eine große Leinwand hinter die Bühne gesetzt. Es gab zu den Songs immer passende Videoclips, welche die Thematik des jeweiligen Titels unterstützen. Zum Intro wurde das Hakenkreuz auf dem Brandenburger Tor zerbombt, bei Combat liefen gezeichnete Kindersoldaten über den Bildschirm und bei Black Tears flimmerte das BP-Logo hinter der Band auf. Die Band war schon immer Freund deutlicher Worte bzw. Bilder, was ja mitunter auch vielfach kritisiert wird. Heute wurden den Zuschauern aber Schlachthausszenen zu Voice Of The Voiceless erspart.


Erwähnt soll hier noch der Ersatz-Drummer werden, der auf dieser Tour den am Rücken erkrankten Matthias ersetzte. Dieser erweitere das mitunter doch recht simple Gebolze des Stamm-Drummers merklich, was mir persönlich sehr gut gefallen hat.
Der Gig war dann auch der letze Deutschland-Gig für einige Zeit, denn HSB kündigten an sich für einige Zeit hierzulande rar zu machen.
Kurz nach Mitternacht war dann der Abend zu Ende, die Meute deckte sich mit jeder Menge Merch zu fairen Preisen ein und dann ging’s raus in den nass-kalten Schneeregen.
Fazit: AILD sollten lieber eine eigene Headliner-Show mit ordentlicher Setlänge und ein paar anderen Songs spielen (Comfort Betrays oder The Truth Of My Perception würden sich hervorragend machen), auf HSB hab ich in zwei Jahren bestimmt wieder Bock und Deathcore braucht kein Mensch.

Mittwoch, 10. November 2010

Underoath - Ø (Disambiguation)

Würde die Bibel erst heute geschrieben werden, fände sich an Stelle der Klagelieder sicherlich der ein oder andere Song von Underoath wieder. Grund zur Klage gibt’s heute schließlich auch noch zu Genüge und die sechs Herren aus Florida verstehen es schon seit Jahren, diese in ansprechender Musik umzusetzen.
Laut, anklagend, verzweifelt, hoffnungslos und doch hoffnungsvoll, zerbrechlich, optimistisch… fünf Alben (und eine EP) hatte das Sextett bereits veröffentlicht, als im Frühjahr die Bombe platzte: das letzte Gründungsmitglied Aaron Gillespie kündigte an, die Band nach der Europa-Tour (Bericht zu Berlin im Archiv) zu verlassen. Da er neben dem Schlagzeug auch für den klaren Gesang zuständig und dieser für den Sound der Band charakteristisch und gleichzeitig ein Erkennungsmerkmal war, stellte sich die Frage: Und was nun?
Die Band machte sofort klar, dass ein weiteres Album bereits in der Mache sei und stellte als Nachfolger Daniel Davison (ex-Drummer von Norma Jean) vor, der zwar einen wunderbaren Schnauzbart hat - singen kann er aber leider nicht. Es war also von Anfang an klar, dass man mit einer zweiten Lost in the sound of separation nicht rechnen könne.
Und mit dem ersten Song des neuen Albums Ø (Disambiguation) wird deutlich: das ist nicht nur eine weitere Underoath-Scheibe, das ist etwas Neues.


Sofort nach dem unvermeidlichen Leak des Albums waren Aussagen wie „Das ist Norma Jean für Arme!“, „Wo haben die denn die Songs geklaut?“ etc zu lesen.
Das wäre aber zu einfach. Fakt ist: Underoath klingen 2010 wieder wieder sperriger, unzugänglicher und uneingängiger als zuvor. Aber das war bei jedem Album der Fall, von daher in der Tendenz eine zu erwartende Entwicklung. Wäre Aaron noch an Bord, wären die Plagiatsvorwürfe sicherlich leiser. Da nun aber Spencer Chamberlain neben den Shouts auch den Klar-Gesang übernimmt, klingt das Ganze in der Tat etwas ungewohnt. Der mit einem Video versehene Song In Division schleppt sich düster und bedrohlich durch die Hörgänge, auch bedingt durch das tiefere Gitarren-Tuning. Das ebenfalls im Vorfeld veröffentlichte Illuminator hingegen rauscht wesentlich flotter an einem vorbei, jedoch werden auch hier langsamere Passagen eingestreut und man erkennt den Schwachpunkt des Albums: der Klargesang von Spencer ist definitiv ausbaufähig. Er ist beileibe nicht schlecht, jedoch auch nichts Besonderes.
Das war es aber auch mit Kritikpunkten, denn im folgenden bekommt man schlicht und ergreifend gute Musik zu hören. Catch Myself Catching Myself hat einen der besten Refrains, die dieses Jahr geschrieben wurden und gerade hier überzeugt Spencer auch am Gesang. Paper Lung kommt ebenfalls wieder gemäßigter daher, arbeitet viel mit ruhigen Passagen, die im Gegensatz zur kräftigeren Instrumentierung im Refrain stehen. An sich ein alter Hut, trotzdem wirkt das nie altbacken oder überholt, denn dazu sind die Songs zu vielschichtig.
Raum für Experimente bleibt natürlich auch auf Ø: das sehr elektronische Driftwood und das kurze, übersteuerte Reversal sind das Resultat der musikalischen Horizonterweiterung. Das wird nicht jeder mögen, mir gefällt’s aber.
A Divine Eradication kommt wieder vertrackt, hektisch und relativ uneingängig daher, ebenso My Deteriorating Incline, bei dem eine stilistische Ähnlichkeit zu den bereits erwähnten Norma Jean wirklich nicht verneint werden kann.
Das Album ist mitunter ein schwerer Brocken, insbesondere für diejenigen, die They’re only chasing safety als ihr Lieblingsalbum angeben würden. Ähnlich wie bei dem Vorgänger benötigt man einige Durchgänge, um alle Songs in ihrer Gänze zu erfassen. Trotzdem sind die typischen Underoath-Trademarks immer wieder erkennbar, insbesondere im abschließenden In Completion, welches eine schöne bedrückende Atmosphäre erzeugt und mit der beste Song des Albums ist. Und wieder mal bleibt festzustellen: wenn alles scheiße läuft („Nothing has changed, nothing has changed like I said it would“), gibt’s immer noch Underoath. Davon wird die Situation zwar nicht besser, aber man hat den passenden Soundtrack.